Interview mit Demian Lienhard

Demian Lienhard versteht sich exzellent auf die Form des satirischen Romans. Sein erster Roman „Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat“ schaffte es auf die Shortlist des renommierten Klaus-Michael-Kühne-Preises für das beste deutschsprachige Debüt und wurde 2020 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. Für seinen zweiten Roman „Mr. Goebbels Jazz Band“ erhielt Lienhard u.a. Stipendien von Pro Helvetia, dem Literarischen Colloquium Berlin, der Stadt Zürich und dem Aargauer Kuratorium. Am 15. März 2023 erschien „Mr.Goebbels Jazzband“ als Hörbuch bei SAGA Egmont. Im Interview erzählt Lienhard von seinem Rechercheprozess, Jazz und der Unverzichtbarkeit guten Schlafs.

Was darf niemals bei dir fehlen, damit der Tag perfekt starten kann? 

Ich war versucht, „Kaffee aus meiner Mokkamaschine“ zu sagen, aber im Grunde beginnt ein perfekter Tag noch vorher: Mit gutem und langem Schlaf. Denn müde kann ich zwar vieles tun, schreiben aber nicht. 

Für einen perfekten Start in den Tag darf dir ein gutes Hörbuch nicht fehlen?
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Was möchtest du unbedingt einmal in deinem Leben erleben?  

Ich würde gerne einmal ein unveröffentlichtes Romanmanuskript entdecken und es aus dem Dunkel der Vergessenheit holen. 

In deinem Roman Mr. Goebbels Jazzband spielt der Jazz eine große Rolle für die deutsche Propaganda während der Nazi-Zeit. Welches Verhältnis hast du persönlich zu Jazz? 

Der Jazz hat inzwischen ja eine über hundertjährige Geschichte. Zum Nachkriegsjazz habe ich den Zugang allerdings nie so richtig gefunden, aber den Jazz der Vorkriegszeit hat mich immer fasziniert. Experte war ich allerdings nicht (und bin es auch jetzt nicht), ich musste mich also durchaus einlesen und Strategien entwickeln, über diese Art von Musik zu schreiben. 

Wie bist du beim Schreiben von „Mr. Goebbels Jazz Band“ vorgegangen, wie ging es dir dabei und was war für dich vielleicht auch besonders schwierig beim Schreiben im Hinblick auf diese Episode der Geschichte? 

Nach einer ersten Recherchephase von rund vier Monaten habe ich zu schreiben angefangen. Nebenher musste ich aber weiter in Archiven und an Schauplätzen recherchieren, denn oft habe ich erst beim Schreiben gemerkt, an welchen Stellen ich noch Wissenslücken hatte. Dieser Recherchevorgang ist auch im Roman gespiegelt, auch wenn der Autor Fritz Mahler vielleicht noch neurotischer vorging als ich. Wahrscheinlich das Schwierigste war, Mut zur Lücke zu haben: Es war unmöglich, alle recherchierten Informationen zu verwenden, und das kann auch nicht das Ziel eines Romans sein – das wäre zu einem überlangen Sachbuch ausgeartet. Ich musste also entscheiden, was für das heutige Publikum und vor allem für die Geschichte, die ich erzählen wollte, wichtig war und was nicht. Diese Fakten musste ich aber auch mit Fiktion zu einer stimmigen Geschichte verschmelzen lassen, denn ich wollte nicht einfach Wahrheitsschnipsel aneinanderreihen. Mein Ziel war es, eine angereicherte, verdichtetere Realität zu erzählen. 

Mr. Goebbels Jazz Band von Demian Lienhard

Gelesen von Omid-Paul Eftekhari
ISBN: 9788728545058
ET: 15.03.2023

Stell dir vor, der deutsche Propagandaminister gründet eine Band, und Millionen Briten lauschen ihrer Musik – Ein satirischer Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht.

Berlin, Frühjahr 1940. Auf Beschluss von Joseph Goebbels wird eine paradox anmutende Propaganda-Maßnahme umgesetzt: Für den Auslandsrundfunksender Germany Calling wird eine Big Band gegründet, die als Mr. Goebbels Jazz Band schnell internationale Bekanntheit erlangt. Hier spielen die besten europäischen Musiker, darunter auch Ausländer, Juden und Homosexuelle, im Dienst der NS-Propaganda wortwörtlich um ihr Überleben – ausgerechnet mit Jazz, der als „undeutsch“ und „entartet“ galt. Bis zu sechs Millionen britische Haushalte täglich werden von den schwungvollen Swing-Stücken mit anti-alliierten Hetztexten vor die Radiogeräte gelockt.

Du schreibst in einem satirischen Stil. Warum eignet sich Satire für so ein Thema? 

Das Stilmittel der Ironie, ein lakonischer Ton und bissige Kritik sind Kennzeichen einer Satire. Der Großteil der Geschichte von Mr. Goebbels Jazz Band wird aus der Sicht des fiktiven Autors Fritz Mahler erzählt, der als Zeitgenosse der Band über sie schreiben soll. Das Problem hierbei ist, dass ein Mensch der 1940er Jahre anders über ein Thema denkt und schreibt und erzählt als es wir, 80 Jahre später, tun würden. Die Ironie – die „uneigentliche Rede“ – ist die perfekte Lösung für dieses Problem: Sie ermöglicht es, subtil zwei Botschaften in denselben Wörtern unterzubringen. Die Sicht des Menschen der 1940er Jahre einerseits und die unsrige andererseits, die sich in puncto Moral und Wissenshorizont komplett von einer deutschen Weltsicht der 1940er Jahre abhebt. So kann man den Text sozusagen gleichzeitig aus zwei Perspektiven lesen, und das Auseinanderklaffen der Sichtweisen sorgt für eine Überraschung, sozusagen einen Aha-Effekt. Das kann zu witzigen, aber auch schockierenden oder verstörenden Erfahrungen führen. 

Was hat dich bei deinen Recherchen für deinen Roman besonders bewegt und berührt? 

Umgetrieben haben mich bei den Recherchen die Einzelschicksale der Musiker, die aus ganz unterschiedlichen Gründen in der Band mitspielen. Ein ganz gewichtiger war der, dass durch die Mitgliedschaft in der Band die Überlebenschancen sowohl für die Juden als auch für die stellungspflichtigen Deutschen erheblich stiegen.
Gleichzeitig darf man sich nichts vormachen: Jenseits von seinen musikalischen Fähigkeiten zählte ein Musiker nichts, der Mensch dahinter interessierte in diesem totalitären System nicht. Das wollte ich auch dadurch zeigen, dass die Sicht auf die Band stets die Außensicht eines Autors ist, der noch dazu vom Propagandaministerium beauftragt ist. Auch wenn die Erzählperspektive an sich fiktiv ist, ist sie eben doch beispielhaft für das Funktionieren eines faschistischen Systems: Natürlich werden die Musiker nie gefragt, ob sie Teil dieses Romans sein wollen. Auch das wird von oben herab befohlen. Die Situation ist also nicht vergleichbar mit einer heutigen Berühmtheit, die eine Biografie von sich schreiben lässt. 

Du bekommst eine Münze für die Jukebox. Welches Lied lässt du spielen? 

Sing, Sing, Sing von Benny Goodman, das mich während der Recherchen lange begleitet hat. Seltsamerweise wird in dem 5 Minuten langen Stück aber gar nie gesungen. Dieses Unterlaufen der Erwartungshaltung des Publikums fand ich irgendwie treffend für Mr. Goebbels Jazz Band, deren Geschichte immer wieder erstaunt und überrascht. 

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